Das Gebaren und Versagen des VW-Managements
Wo anfangen, um keinen der vielen Eckpunkte auszulassen, wenn es um das Gebaren des VW-Konzerns geht und die traditionelle Geschichte des Automobilbaus speziell in Zwickau?
Trotzdem nachfolgend ein Versuch aus Zwickauer Sicht.
1938 versprachen die Nazis den Deutschen: „Fünf Mark die Woche musst Du sparen – willst Du im eignen Wagen fahren!“ In eine extra dafür geschaffene Sparkarte wurden fortan fleißig Marken geklebt. Doch das feilgebotene Auto, der sogenannte Kraft-durch-Freude-Wagen, wurde nie gebaut. Nicht einmal die dafür vorgesehene Fabrik. Im gleichen Jahr erfolgte jedoch in der Nähe des niedersächsischen Städtchens Fallersleben die Grundsteinlegung für ein Werk, in dem zu über 95 Prozent Rüstungsgüter produziert wurden. Unter anderem militärische Kübelwagen Typ 82 und 87 sowie als ausgezeichneter „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ zudem Kampfflugzeuge, Minen und Flugbomben.
Im April 1945 nahmen Einheiten der US-Army das Werk ein. Lediglich zwanzig Prozent der Gebäude waren zerstört, 93 Prozent der Maschinenausrüstung befand sich noch in produktionsfähigem Zustand. Keine Spur von Bestrafung von an Kriegsverbrechen beteiligten Unternehmen. Dafür sorgte auch der neue Name des Standortes. Er leitet sich vom Wappentier der Adelsfamilie „von Bartensleben“ ab, die das Schloss Wolfsburg im 13. Jahrhundert als Lehnsitz übernommen hatte.
Nun zu Zwickau – und der „losen Verbindung“ nach Wolfsburg.
Nach den Standorten Köln und Reichenbach siedelte August Horch mit seiner A. Horch & Cie. Motorwagenwerke 1902 nach Zwickau um und begründete 1904 damit den Automobilbau in der Muldestadt. Fünf Jahre später wird aus bekannten Gründen aus Horch parallel die Marke Audi. Beide Unternehmen brillieren mit hochwertigen und zuverlässigen Automobilen. Zusammen mit den Marken Wanderer in Chemnitz sowie DKW in Zschopau entstand 1932 die Auto-Union AG mit den vier ineinander verschlungenen Ringen als Markenzeichen. Auch sie wurden in die Kriegsproduktion eingebunden. In Fremdlizenz entstanden z.B. Hanomag Halbkettenfahrzeuge und Maybach Panzermotoren, Steyr Lastwagen und Raupenschlepper, Bosch Magnetzünder für Flugmotoren, Torpedos und Maschinengewehre. Nur DKW blieb bis kurz vor Kriegsende bei seiner angestammten Motorrad-Produktion.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs war auch das der Auto-Unio. Ein entscheidender Großteil der Produktionsstätten wurde zerstört. Von einem produktionsfähigen Zustand konnte nicht die Rede sein. Die sowjetischen Besatzungstruppen demontierten Produktionsanlagen der Auto-Union.
Schlauer machten es die Amerikaner, die zuerst westlich der Mulde vor Ort waren. Sie sackten ingenieur-technisches Personal samt Konstruktionsinterlagen ein und „verbrachten“ es nach Ingolstadt. In gleichem Atemzug wurden die Rechte an den Marken der Auto-Union für die westlichen Besatzungszonen / -mächte „gesichert“. Dort beginnt 1946 die Ersatzteilfertigung für die vor dem Krieg in Zwickau gebauten Modelle. 1948 wird die „alte“ Auto-Union aus dem Handelsregister in Chemnitz gelöscht. Ein Jahr darauf wird die Auto-Union GmbH gegründet und begonnen, den DKW-Schnelllaster und das DKW-Motorrad RT 125 W zu fertigen. Erst 1958 wird die Motorradfertigung eingestellt, der Grundstein für ein Automobilwerk gelegt. Immerhin! Im August 1963 – die vorherigen Modelle entstammten im Wesentlichen aus den Zwickauer End-30er-Modellen – läuft der DKW F 102 vom Band und wird, weil DKW mit seinem Namen zu sehr für Zweitakter und Motorradbau steht, kurzerhand als Auto Union verkauft.
Trotz alledem gab es in Zwickau noch automobil-ingenieurtechnisches Personal, das aufgrund von fehlendem bzw. zu teurem Grundmaterial Pionierarbeit in punkto Serienfertigung von Personenkraftwagen mit Kunststoffkarosse leistete. Über die Typ-Reihen P70, P50 und P60 und dem mit vielen Spitznamen wie „Plastebomber“ oder „Rennpappe“ belegten P601, dem legendären Trabant 601, bis hin zum Trabant 1.1. Der war mit einem Viertaktmotor, wie er im VW-Polo – wohl ein „kleines Dankeschön“ für vorangegangene „billigst“ erworbene Zwickauer Ingenieursleistung – verbaut war, ausgestattet. Bis zum 1.1er eine unter damaligen Umständen nicht hoch genug zu würdigende Leistung. Denn trotz Verbots einer Weiterentwicklung des Trabants oder gar eines völlig neuen Typus Kleinkraftwagen, entwickelten die Zwickauer Ingenieure um Chefkonstrukteur Werner Lang im Geheimen weiter. Die Testfahrten der Erlkönige rund um Zwickau verliefen erfolgversprechend. Sie hatten, warum auch immer, den Spitznamen Hängebauchschwein erhalten. Der neue Trabant P 603 war ein dreitüriges Modell mit Vollheck, das es so auf dem europäischen Automarkt bis dato noch nicht gab. Auf irgendwelchen „informellen“ Hinweisen hin bekam Berlin, allen voran Wirtschaftsminister Günter Mittag, Wind davon. Als 1973 die Zusammenarbeit wegen zu hoher Entwicklungskosten auch mit Skoda auf Eis gelegt werden mussten, stand die Entwicklung des Automobilbaus in Zwickau faktisch vor dem Aus. Dann wurden in einer Stasi-geleiteten Nacht-und-Nebel-Aktion die Erlkönige samt Konstruktionsunterlagen über Chemnitz nach Wolfsburg verbracht. Im März 1974 lief der erste Golf in Serie von den Produktionsbändern in Niedersachsen.
Selbst jeder Laie kann sich heute bei einem augenscheinlichen Vergleich des P603 und des Golf I ein Grinsen nicht verkneifen.
Die Geschichte geht aber weiter und reicht bis in die Gegenwart.
1993 kauften die „Rittinghäuser“ (Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus) den ehemaligen VEB Sachsenring von der Treuhandanstalt. Aus dem Traditionsbetrieb des Automobilbaus wurde ein Kfz-Zulieferer. Doch als die Sachsenring Automobiltechnik GmbH (SAG) Anfang September 1996 eine siebensitzige Großraumlimousine mit Aluminiumkarosserie und Hybridantrieb: den Uni 1 – ein kombiniertes Elektro-Diesel-Auto vorstellte, das zudem das altbekannte S auf den Kühlern hatte, schien der Autobau in Zwickau optimistisch in die Zukunft blicken zu können. Durchweg hatte sich dabei die SAG, anstatt Geld für eigene kostspielige Entwicklungen ausgeben zu müssen und dabei nicht zwingend Besseres zu entwickeln, die Erlaubnis eingeholt, sich Bausteine erfahrener Firmen, wie Ford und Volkswagen, zu bedienen. Doch das ausnahmslos von fast allen Fachgrößen der Branche durchaus als neuartig, antriebstechnisch kreativ verbessernd gelobte Auto wurde nur in Prototypen gebaut. Die verschwanden samt Unterlagen auf Nimmerwiedersehen irgendwo in irgendwelchen Schubladen eines Autoherstellers!? Vielmehr glänzte dieser Konzern im Dieselskandal!
In Mosel wurde ab 1989 mit einer VW-Motor-Lizenz der Trabant 1.1 hergestellt. Ab 1990 lief dort der VW Polo II vom Band. 1991 der Golf II, bis Mitte 2020 der Golf III. Ebenso die Modelle Golf Variant und Passat Variant, Luxuskarossen für Bentley und Lamborghini. Erfolgreich! Doch als Vorzeigeprojekt der „Zukunft beherrschenden Elektromobilität“ wurde das Werk in Mosel komplett umstrukturiert, erfolgte 2019 der Produktionsstart des ID3. Dabei war klar: Die Alltagstauglichkeit war (und ist) nicht ausgereift. Zu hoher Anschaffungspreis, nicht bedachter steigender Strombedarf im Land, entgegen gesetzter Öko-Ziele erhöhter CO2-Ausstoß bei der Batterieherstellung… Und: So lange ein Fahrer eines E-Autos nicht an eine „Tankstelle“ fahren kann und seine Batterie gegen eine andere volle austauschen kann, er bei einer Fahrt von Bayern oder Sachsen an die Adria oder die Ostsee zwei- oder dreimal längere Pausen einlegen muss, um seine Batterie aufzuladen, es zu wenig Ladestationen in Deutschland gibt… Das Scheitern der Elektromobilität im Land der Autobauer war unter diesen Umständen abzusehen. Der Zug auf diesem Gebiet des Autobaus ist verpasst worden, eigentlich der Bahnsteig dafür bereits abgebaut. Gleiches gilt für die über Jahre negierte Entwicklung von Hybrid-Antrieben. Das Management – auch und vor allem im VW-Konzern – weist allerdings jegliche Schuld dafür weit von sich. Und in Zwickau, mit Horch-Tradition, Golf- und Hybrid-Know-how, wird in die Röhre geschaut. Die Produktion der erfolgreichen ID-Modelle wandert nach Niedersachsen ab. Elektro-Varianten des Audi Q4 verbleiben als Trostpflaster. Für das einst erkorene Leitwerk der Elektromobilität Mosel mit stets gut funktionierenden Produktionslinien gilt inzwischen das geflügelte Wort: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“ oder zutreffender im Original: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“ Es bedeutet nichts anderes, als dass jemand nicht mehr gebraucht und auf undankbare Weise abgeschoben wird. Es bedeutet für den VW-Konzern, dass Mosel wider besseren Wissens im Kreis der internationalen Autohersteller als Alibi zum Erreichen irgendeines Zieles benutzt wurde, um sich bei absehbarem Scheitern des Vorhabens – oder besser nicht eingetretenem profitablen Ergebnisses – per Fußtritt zu entledigen.
Ach nein! Zwickau geht ja einer Rettung entgegen. Es wird erneut Versuchsballon. Nicht Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Kassel, Emden oder Salzgitter im Westen der Republik. Denn wenn das mit dem Recycling wie die E-Mobilität in die Hose geht… dann geschieht´s eben im Osten.
Wird Zeit, dass sich die Autobauer in Westsachsen – egal wie – auf ihr ureigenstes Können besinnen. Vielleicht sich selbständig machen, freikaufen, den Aufstand nicht nur proben… Sonst ist´s mit über 120jähriger Automobilbautradition in Zwickau endgültig vorbei.