Ein Gutshaus mit zwei Besonderheiten

Was ein 260 PS starkes Motorrad und Lenin verbindet

An der mecklenburgischen Ostseeküste locken nicht nur die bekannten Seebäder wie Boltenhagen, Kühlungsborn, Markgrafenheide oder Graal-Müritz, Urlaub zu machen. Neben den Hanse- und Hafenstädten Wismar und Rostock und deren imposante Backsteingotik gibt es zudem fernab dieses Mainstreams wahre Kostbarkeiten, regelrechte Kleinode zu besuchen.

Eins davon ist mit Sicherheit das Hotel Ostsee-Gutshaus in Klein Strömkendorf etwa zehn Kilometer südlich von Rerik. Klein Strömkendorf gehört zur Gemeinde Am Salzhaff zu der noch die Orte Pepelow, Rakow und Teßmannsdorf gehören, die gemeinsam knapp über 500 Einwohner hat. Alles wirkt etwas verschlafen im Sinne von abgelegen, ruhig und wenig belebt. Dabei ragt das Ostsee-Gutshaus in mehrfacher Sicht heraus. Es ist zunächst Zeugnis mecklenburgischer Geschichte. Erste urkundliche Erwähnungen gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Im 17. Jahrhundert gehörte der Landsitz der Adelsfamilie „von Stralendorff“ und im 18. Jahrhundert den „von Bülows“. Das Anwesen, wie es sich heute zeigt, wurde 1840 bis 1850 erbaut. Später gehörte der Besitz der Lübecker Kaufmanns-Familie Staunau. Nach dem II. Weltkrieg diente es einige Zeit als Wohnstätte für Flüchtlingsfamilien, später als Kindergarten, Kinderkrippe, LPG-Büro, Gemeindebüro sowie als Wohnhaus. Mit der Wende kam zunächst der Leerstand. 1998 übernahm es der Unternehmer Gerd Milanowski aus Frankfort a.M. und unterzog es einer gründlichen Sanierung. Seit 2016 wird es als Hotel geführt. Ein Klassiker und gern gebucht sind die sechs aus DDR-Zeiten dazugehörigen Bungalows, denen nunmehr nichts an Komfort fehlt.

Und da beginnt die eigentliche Geschichte und der damit verbundene Ausflugstipp.

„Ich war mit meinem Tenorsaxophon unterwegs, spielte in Dierhagen, und ein attraktiver Herr machte mir Avancen. Irgendwie-wann sollte es eigentlich gemeinsam nach Südamerika auf eine Motorrad-Rundreise gehen, sollte Schloss Schlemmin das Zuhause werden… Schließlich kam alles anders aber trotzdem wunderschön“, beschreibt Marita Gronau den Start ins Leben einer Hotelbetreiberin. Der Mann, „mit dem ich später zwar nicht nach Südamerika aber zu vielen anderen interessanten und schönen Rundreisen unterwegs war“, erinnert sich Gronau, war ihr jahrelanger Partner Thomas Petsch († 2017), der aus Würzburg stammende Ingenieur, Unternehmer und Erfinder, der seine Spuren im Bereich Solarenergie und Elektromobilität hinterlassen hat. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Münch-Motorrades Mammut 2000 beteiligt. Kein Wunder, dass sich im Gutshaus in Parterre und im Keller eine diverse Motorradsammlung befindet. „Ursprünglich war das Haus als Bikerhotel geplant. Inzwischen ist jedermann herzlich willkommen. Als Bonus gibt´s das kleine Motorrad-Museum oben drauf. So mit dem E-Renn-Motorrad Münch TTE-2, mit dem Matthias Himmelmann und Katja Poensgen 2010, 2011 und 2012 Weltmeister wurden“, lässt Gronau nicht unerwähnt, dass sie selber gern Motorrad fährt. „Ist doch ein Knaller! Urlaub am Meer, am Waldesrand und in einem schicken Hotel mit Museum.“ Das kann so stehen gelassen werden.

Doch das eigentlich Schlagzeilen Produzierende ist der im unmittelbar angrenzenden Gutswald entstandene „Pfad der unholden Personen“, der von den meisten Besuchern und im Volksmund nur „Arschlochwandelweg“ oder „Arschlochpfad“ genannt wird.

„Los ging´s 2016“, erinnert sich Gronau. „Thomas sollte mir von einer Dienstreise aus Russland eine Leninbüste mitbringen. Die sollte im angrenzenden Wald beim Spazierengehen dazu anregen, über dessen Missetaten und seinen Theorien nachfolgenden historischen Ereignisse und Machtstrukturen nachzudenken. Statt der Büste errichteten wir gemeinsam die erste Bronzefigur – Lenin mit einladender Geste in Richtung des Betrachters“, ergänzt Gronau diesbezüglich: „Es gibt keine Eintrittsgebühr oder Öffnungszeiten. Hunde müssen während des 1,3 Kilometer langen Rundgangs angeleint sein und immer daran denken, der Wald ist keine Müllhalde.“ Und mit einem Augenzwinkern folgt die Einladung: „Alle Wandernden sind nach dem Ausflug zu Kaffee und Kuchen im Gutshaus herzlich willkommen.“

Zurück zum Lehrpfad der besonderen Art.

Nach Lenin kamen in den Folgejahren Skulpturen von George W. Bush, Nikita Chruschtschow, Recep Tayyip Erdoğan, Erich Honecker und Donald Trump, alle in bemerkenswerten Posen dargestellt, hinzu. So wird George W. Bush mit einem Baby in den Händen dargestellt, das ihm von Eltern 2006 bei seinem Deutschlandbesuch in Trinwillershagen gereicht wurde, und sofort anfing zu schreien. Nikita Chruschtschow wird in einer legendären Szene auf der 15. UNO-Vollversammlung 1960 nachgestellt, bei der er angeblich mit seinem Schuh auf seinen Tisch geschlagen haben soll. Von Donald Trump soll bekannt sein, dass er den Mittelfinger zum Richten seiner Haare benutze, und deshalb so gestaltet wurde. „Da gab´s auch schon ganz andere Deutungen“, verrät Gronau, die sich immer wieder über die vielen Gespräche und Eindrücke der Gäste nach dem Rundgang freut. „Über die jeweiligen Posen soll sich jeder selbst seine Meinung bilden“, meint sie. Es gebe auch Nachfragen, warum der eine oder andere Unhold noch fehle. Denn bei historischen Arschlöchern würden jedem sicherlich noch mehr Personen einfallen. Dazu macht Gronau eine klare Ansage: „Hitler kommt nicht in Frage, um irgendwelchen Leuten erst gar keine Möglichkeit der Huldigung zu bieten. Stalin lehne ich ebenfalls ab. Und Putin…, wenn der in Berlin an Leute herankommt und sie erschießen lässt, dann findet er auch das verträumte noch so abgelegene Örtchen Klein Strömkendorf. Da war´s, ist´s mit Erdogan bereits ein gewisses Wagnis.“

Kein Wagnis, sondern durchaus zu empfehlen ist der Spaziergang mit eigenen im Angesicht der historischen Personen spontan gefundenen Gedanken, einer Quintessenz, ein Lehrpfad für das eigene politische Empfinden.

Neben der Ruhe und Idylle, die dieser Ort abseits der überfüllten Tourismuszentren ausstrahlt, gibt es vor Ort auch die Möglichkeit, Konzerten zu lauschen. Dabei kann die Hotelchefin, die ihren Gästen live ihr Können als Saxophonistin zeigt, erlebt werden. Immerhin konnte Marita Gronau 2023 ihr 40jähriges Bühnenjubiläum begehen.

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