Längster Strand und das Tor zum Paradies

Mallorca I – Nordtour

Morgenstund´ hat Gold im Mund – mit der aufgehenden Sonne im Rücken geht es bei Zeiten dem Tagesziel Port de Sa Calobra entgegen. Zunächst auf der C715 bis Arta und dann auf der C712 Richtung Alcudia. Ist der Bergrücken Serres de Llevant passiert, fällt das Gebirge zum Meer hin schroff ab und eröffnet einen grandiosen Blick auf die Bucht von Alcudia. Bei klarem Wetter reicht die Sicht sogar bis zur Halbinsel Formentor.

Etwa 2,5 Kilometer nach dem Abzweig Santa Margarita führt bei Son Real eine Landstraße rechter Hand Richtung Strand. An der folgenden Gabelung links ist sobald Necropolis de Son Real erreicht – eine der besterhaltenen Zeugnisse der Talaiot-(Megalith)Kultur auf Mallorca. In spektakulärer Lage, denn nur 30 Meter weiter beginnt das Meer, erstreckt sich das prähistorische Gelände, auf dem vor mehr als 2500 – 2000 Jahren v. Chr. eine Siedlung mitsamt Grabfeldern stand. Zu bestaunen sind die Grundmauern aus quaderförmigen Megalithen und die engen, kreisförmig aneinander liegenden Grabkammern.

Die Landstraße endet in Can Picafort – einem modernen Urlauberzentrum mit hoch aufragenden Glas- und Betonpalästen, das wenig mallorquinisches Flair verspüren lässt. Wieder auf der C712 geht es vorbei an der Albufera, ob der Feuchtigkeit Heimstadt vieler Vögel und anderer Tiere.

Entlang der weitgeschwungenen Bucht von Alcudia – mit 17 Kilometer der längste Sandstrand Mallorcas – macht bereits von weitem die mächtige Stadtmauer auf die wahrscheinlich älteste Stadt Mallorcas aufmerksam. Im Jahre 123 v.Chr. hatten die Römer auch hier ihr Imperium ausgebreitet und an der Stelle des heutigen Alcudia die Stadt Pollentia („die Mächtige“) gegründet. Sie war Provinzhauptstadt und Mittelpunkt des römischen Lebens bis sie um 450 n.Chr. von den Vandalen zerstört wurde. Die Araber fanden bei ihrer Landung im Jahre 903 nur noch Trümmer vor. Anstatt die untergegangene Siedlung wieder aufzubauen, gründeten sie auf dem meerwärts gelegenen Hügel (arabisch al-Kudia) eine neue Stadt, benannten sie nach ihrem Standort und machten sie zur Hauptstadt der eroberten Insel. So erwecken die vielen engen, schattigen Straßen und Gassen noch heute den Eindruck einer alt-arabischen Medina. Sehenswert ist die Kirche Església Sant Jaume und das südlich der Stadt gelegene römische Theater.

Entlang der Bucht von Pollenca sind es noch etwa dreißig Kilometer bis zum Kap Formentor – Mallorcas nördlichsten Zipfel. Diese einzige Straße bis zum Leuchtturm windet sich teils in engen Kehren und gewährt fortlaufend atemberaubende Ausblicke auf eine phantastische Szenerie aus Steilküsten und einsamen Buchten. Gut 200 Meter über dem Meer besteht am Ziel kein Zweifel mehr, warum dieser Ort den Namen Kap zu Recht trägt: Der Wind pfeift gehörig und klare Sicht lässt am Horizont Menorca erblicken.

Zurück auf der C710 durch Pollensa, eine der wenigen Städte auf Mallorca, die sich den Einflüssen des Tourismus erfolgreich entziehen – deshalb als ruhigste und schönste, als heimliche Kulturhauptstadt der Insel gilt. Hier beginnt auch die circa einhundert Kilometer lange und fünfzehn Kilometer breite Cordillera del Norte, auch Tramuntana genannt. Immerhin erreichen dreißig Gipfel dieses Gebirgszuges eine Höhe von mehr als eintausend Meter. Der Puig Major ist mit 1445 Meter die höchste Erhebung. Zwanzig Kilometer hinter Pollensa geht es rechts ab zum Kloster Lluc – dem bedeutendsten Wallfahrtsort der Insel. Das von hohen Bergen umgebene und in 400 Meter Höhe liegende Gebäude gehörte einst den Augustinermönchen und ist heute ein Sitz der Bruderschaft der Missionarsorden des Heiligen Kreuzes. Vermutlich im 13. Jahrhundert errichtet, beherbergt das Kloster seither die „La Moreneta“, die „kleine Braune“. Eine Madonnenfigur mit Kind. Ein bekehrter maurischer Hirtenjunge soll sie gefunden und einem Pfarrer gebracht haben. Zunächst in einer Kapelle aufgestellt, verschwand sie mehrere Male und ward stets am Ursprungsort wiedergefunden. Dies wiederholte sich so oft, bis sich der Pfarrer entschloss, der Statue eine würdige Bleibe an der Fundstelle zu errichten – das Monasterio de Lluc. Es ist zugleich Heimstatt einer berühmten Musik- und Gesangsschule und außerhalb der Ferien bildet das Hochtal eine unverwechselbare Kulisse für die übenden Schüler.

Für geübte Bergwanderer und Kletterer fällt hier die große Entscheidung – je nach Wetter und verbleibender Zeit. Variante 1: Das Auto parken und zu Fuß abenteuerlich durch Schluchten zum Meer oder Variante 2: Weiter im Auto aus 800 Metern Höhe über Serpentinen pur mit atemberaubenden Blicken ins Tal nach Sa Calobra?! Eine weitere Abstiegsgelegenheit eröffnet sich noch bei Escorca, einem kaum erkennbaren Dörfchen, direkt rechts an der Straße mit gleichnamigem Restaurant. Der Einstieg zur durchaus als anstrengend zu bezeichnenden Bergab-Wander-Tour ist hier am Ende des Parkplatzes in Fahrtrichtung Sóller.

Egal von wo der Start erfolgt. Bei der mindestens fünfstündigen Durchwanderung ist höchste Vorsicht geboten, denn schon kleine Regenfälle können einen reißenden Gebirgsfluss hervorrufen. Zwingend sind solide Kondition und absolute Schwindelfreiheit! Nach etwa zwanzig Minuten ist die beeindruckende Kreuzung von zwei Schluchten erreicht: Am S´Entreforc treffen die Wasser des Gorg Blau mit denen aus dem Hochtal von Pla de Cuber zusammen, vereinen sich die Torrent de Lluc (rechts) und die düstere Schlucht Sa Fosca (links) zum Torrent de Pareis. Die „Paradiesschlucht“ ist neben der auf Kreta gelegenen Samaria-Schlucht der bekannteste Canyon am Mittelmeer. Hier erreichen mancherorts die Sonnenstrahlen wegen der hohen schroffen Felswände nie den Boden. Auf reichlich vier Kilometer schneidet sich die an einigen Stellen bis auf wenige Meter verengte Schlucht mit bis zu über 400 Meter steil aufragenden Wänden Richtung Küste. Mit dem letzten Linienbus oder per Anhalter finden die tollkühnen Canyonbezwinger wieder zurück.

Alternativ bleibt eine kürzere, aber nicht minder atemberaubende Tour durch die Schlucht von Sa Calobra aus. Zuvor ist jedoch konzentriertes Fahren notwendig, um die zahlreichen Serpentinen und den berühmten „Krawattenknoten“ – eine Kehre von über 300 Grad, bei der die Straße unter sich selbst hindurchführt – zu meistern. Mit gelegentlichen Staus ist ob der ausgesprochen schmalen Straße zu rechnen. Reisebussen gilt es, hier die Vorfahrt zu gewähren. Im Tal angekommen wird es an den Restaurants und Andenkenständen vorbei spektakulär: Es geht durch einen – ebenfalls engen – Fußgängertunnel zum Inneren des Torrent de Pareis. Durch das erste Wasserloch hindurch gehend, bietet nach einigen Schritten nicht nur der sich öffnende Blick in den Canyon eine echte Überraschung, sondern auch der Wasserstand in der Schlucht. Ist sie begehbar, sollten gut zwei Stunden eingeplant werden, um die Schönheit dieses wahren Wunderwerkes der Natur zu erleben. Eins zwei Kilometer geht es zwischen den aufragenden Felswänden voran und teils bergan. Spätestens bei den ersten tiefen wasserführenden Brüchen und sich auftürmenden Steinbergen ist aber Schluss: Sie sind ohne Kletterausrüstung nur von der anderen Seite zu überwinden. Dafür bietet das glasklare Gebirgs(Süß)wasser eine Abkühlung im wahrsten Sinne des Wortes.

Einmal jährlich, an einem Nachmittag im Juli, wird seit 1964 das sakrale Musikfestival „Música Coral al Torrent de Pareis“ in dieser beeindruckenden Atmosphäre veranstaltet. Das Konzert ist kostenlos. Als Erinnerung bleibt die exzellente und außergewöhnliche Akustik im rückwärtig liegenden Felsenkessel.

Nochmals höchste Aufmerksamkeit erfordert die Zick-Zack-Rückfahrt aufwärts zur C710. Zunächst Richtung Pollensa zweigt nach neun Kilometer eine Straße nach Inca ab. Nach nochmals anspruchsvollen fünfzehn Kilometern ist das vornehmliche Industriezentrum der Insel erreicht. In vielen Läden der ansässigen Leder- und Schuhfabriken kann der Geldbeutel erleichtert werden. An jedem Donnerstag füllen sich die Gassen der Innenstadt zum großen sehenswerten Markt mit allerlei Ständen und Darbietungen. Besonders beliebt sind die „Cellers“ – Kellerlokale –, in denen sich in rustikaler Atmosphäre vorzüglich speisen lässt. Ein ganztägiger Marktbesuch kann auch mit einer romantischen Zugfahrt nach Palma kombiniert werden.

Weiter heimwärts durch das Inselinnere bieten sich zwischen Inca, Llubi und Santa Margarita zur Küstenstraße C712 hin beruhigende Ausblicke auf Olivenhaine und die mit Steinmauern abgegrenzten landwirtschaftlichen Parzellen.

Über Arta und Capdepera ist der Ausgangspunkt Cala Ratjada wieder erreicht.

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