Dekret als verstecktes Friedensangebot?

Ukraine-Krieg und (k)ein Ende

Kiebitzen – sich bei Brett- oder Kartenspielen als Außenstehender mit unerwünschten und teils unpassenden Bemerkungen und zeichengebenden Gesten in den Spielverlauf einzumischen – ist eigentlich prinzipiell verboten.

So ähnlich verhält es sich allerdings mit mehr oder weniger vorhandener Zurückhaltung oder gar teils erpresserischem Einmischen von verschiedenen Seiten im Ukrainekrieg. Das reicht von fest an der Seite stehen bis hin zu Ankündigungen, diesen seit Jahrzehnten schwelenden und mittlerweile drei Jahre militärisch ausgetragenen Konflikt binnen Tagesfrist beenden zu können. Dabei erfolgt(e) die Hilfestellung für die Ukraine inmitten des Heraufbeschwörens eines imperial homogen begründeten Verhaltens herrscherlicher Willkür und roher militärischer Gewalt seitens der Russen meist mit angezogener Handbremse. Aus Sicht der Ukrainer ist und bleibt es bis dato ein Restekontingenten-Krieg mit partiellen Ausrüstungen vom Wühltisch westlicher sowie östlicher Militär-Technik. Trotzdem hat die ukrainische Armee mit derartiger „Patchwork-Ausrüstung“ aus der Not eine Tugend gemacht, hält sich achtbar aufopferungsvoll tapfer.

Inmitten all dieser Bestrebungen, dass die Ukraine seine wertvollen Bodenschätze unter von Moskau diktierten Bedingungen verscherbeln soll (will), das Reich der Mitte die Option offen lässt, sich der „Koalition der Willigen“ anzuschließen, das gelobte Abendland Sanktionen gegen Russland noch mehr verschärfen will, die sie bisher jedoch durch mannigfaltige Hintertürchen wieder öffnete, und endlich für eigene längst überfällige Verteidigungsfähigkeit sorgen will, kommt der Kremlchef mit einem „Sonderangebot“ um die Ecke. Putin stellt den in von Russland besetzten Gebieten lebenden Ukrainern ein Ultimatum. Sie sollen bis zum 10. September 2025 entweder die russische Staatsbürgerschaft annehmen oder die Oblaste im Osten und Süden der Ukraine (Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk) Richtung „Rest-Ukraine“ verlassen.

Genau an dieser Stelle muss wiederholt auf Geschehnisse in den 50er Jahren verwiesen werden. Der nach Stalins Tod zum gesamtsowjetischen Parteichef der KPdSU aufgestiegene Chruschtschow stattete im Mai 1954 der Krim einen Besuch ab. Dabei sah er die umfassende für ihn unfassbare Zerstörung der Schwarzmeerhalbinsel. Da Stalin zuvor zum Wiederaufbau Russlands 500.000 Ukrainer „herbeibefohlen“ hatte, sah sich Chruschtschow gewogen, den Ukrainern die Krim – die seit 170 Jahren Teil Russlands war – im Rahmen der Feierlichkeiten zum 300. Jahrestag des Vertrags von Perejaslawals (einem mehr oder weniger vollzogenem Treueschwur zwischen Ukrainern und Russen) als „Ausgleich zu schenken“. Zugleich organisierte er die Rückführung der von Stalin ins ferne Kasachstan deportierten Krimtataren. Nicht auch deshalb, weil er zuvor den Ukrainern als im II. Weltkrieg am meisten zerstörte Sowjetrepublik zum Wiederaufbau die Oblaste Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk „auf Zeit“ zur „strukturellen Verwaltung“ und „wirtschaftlichen Nutzung“ überlassen hatte. Damit dachte Chruschtschow sicherlich, den Zusammenhalt zwischen den beiden großen slawisch bevölkerten Republiken im sowjetischen Riesenreich zu festigen. Bezeichnendes und wohl entscheidendes Moment dabei: Diesen territorialen Zugeständnissen haben damals weder die eigentlich zuständigen Obersten Sowjets in Kiew und Moskau zugestimmt, sondern lediglich deren Präsidien / Präsidenten. Es liegt auf der Hand, dass deshalb die Beschlüsse eigentlich als illegal angesehen werden müssen.

Zurück in die 50er Jahre. Ukrainer sollten damals die in diesen Territorien lebende Russen gleichberechtigt integrieren. Die dort existierenden Russen sollten es wiederum als ehrenvolle Pflichtaufgabe sehen, dem „Bruderland“ zu helfen. Das Gegenteil war allerdings beidseitig der Fall. Russen wurden schikaniert, diskriminiert, zu niedersten Arbeiten verpflichtet, als billige Arbeitskräfte „gehalten“. Die verbliebenen Russen zeigten zudem ihrerseits keinerlei Interesse, den Aufbau der Ukraine mit voranzutreiben. Dieses „Gefühlsgemisch“ dauerte über vierzig Jahre an und reichte leider bis in die unmittelbare Gegenwart. Dann kam der Zerfall der UdSSR. Die Ukraine rief 1991 seinen eigenen Staat aus, annektierte die vier Oblaste inklusive der Krim, gab den in den genannten Territorien lebenden Russen keine Möglichkeit, auszureisen. Zahlreiche Verhandlungsversuche zwischen Russland und der Ukraine über einen

„Bevölkerungstausch“ und Rückgabe der „geschenkten“ Territorien“ schlugen wiederholt fehl, verschärften eher den Konflikt, der sich in dem seit Februar 2022 andauernden Krieg zeigt.

So könnte Putins Beschluss möglicherweise auch als letzter Versuch gesehen werden, die Ursache des Krieges lösen zu wollen: Ukrainer können sich, wenn sie sich zu Russland gehörig fühlen wollen, „legalisieren“ (einbürgern) lassen oder sie können ausreisen, in die „Rest“-Ukraine oder wohin auch immer.

Offen bleiben trotzdem die Fragen:

Was passiert bis dahin an den gegenwärtig verlaufenden Frontverläufen?

Gibt´s bis dahin bereits einen „militärischen Vorfall“ im Zusammenhang mit dem „Sapad“-Manöver in Belarus an der sogenannten Suwalki-Lücke?

Provoziert Russland mit einem „Zu-Hilfe-Kommen-Müssen“ in der russischen Enklave Barentsburg im norwegisch verwalteten Spitzbergen die NATO mal „auf Probe“?

Warum ausgerechnet der 10. September als ultimatives Datum?

Weil an diesem Tag 1721 der Friedensvertrag von Nystad den Großen Nordischen Krieg zwischen Schweden und Russland beendete und es einen solchen zwischen der Ukraine und Russland geben könnte? Allerdings erhielt Russland mit dem Nystad-Abkommen im Baltikum einen Gebietszuwachs!

Oder weil 1919 auf der Grundlage des Friedensvertrages von Saint-Germain-en-Laye das Kaiserreiches Österreich-Ungarn aufgelöst wurde, also 2025 die Zugehörigkeit von Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk zur Ukraine?

Oder weil Bundeskanzler Helmut Kohl und Michail Gorbatschow am 10. September 1990 den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen gegen finanzielle Unterstützung der Bundesregierung vereinbarten und Putin sich gegen „Barzahlung“ (Abfindung) aus den besetzten Gebieten zurückziehen wird?

Was passiert, falls die betroffenen Ukrainer welche Option auch immer sie wählen werden, nach dem 10. September?

Artikel teilen:

Facebook
WhatsApp

andere Artikel

Sport

Heike Drechsler – eine ganz normale Sportlegende

„Der Sport ist eigentlich die größte Schule, die man haben kann.“
Wenn sich ein Wettkampfresultat bis dato auf Platz vier der ewigen Weltbestenliste einsortiert, sie je zwei Olympiasiege und Weltmeistertitel erringen konnte, viermal Europameisterin in Serie wurde, als Weltrekordlerin 409mal über 7 Meter weit sprang, damit die erfolgreichste Weitspringerin aller Zeiten ist, dann zählt Heike Drechsler unumstritten zu den wirklich ganz ganz Großen der Leichtathletik. Sie war, eingeladen von Volkhardt Kramer und seiner Sport-Marketing-Agentur, Ehrengast auf der Vogtland-Sport-Gala 2025. Die gelernte Optik-Feinmechanikerin und studierte Pädagogin eroberte im Nu die Sympathien des Publikums und nahm die Auszeichnung der Ehrenamtler vor. Zudem hatte sie Zeit, über (ihren) Sport im Allgemeinen und Besonderen zu reden.

Weiterlesen »
Sport

Ex-Sport-Gala-Moderatorin erhielt Grimme-Preis

Ulrike von der Groeben ist das Vogtland ans Herz gewachsen
Das wohl bekannteste TV-Anchor-Duo waren bis August 2024 Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben bei RTL aktuell. Doch zahlreiche Gäste der Vogtland-Sportgala konnten Ulrike von der Groeben nicht nur auf der Mattscheibe sehen, sondern live vor Ort als Moderatorin erleben. Sie leitete zwanzig Jahre gemeinsam mit Volkhardt Kramer und den von seiner Sport-Agentur organisierten Sport-Promis (im Foto im Interview mit Michael Rösch) die Ehrung von Aktiven, Trainern und Betreuern. Die TV-Moderatorin ist im Vogtland immer noch in guter Erinnerung. Jüngst wurde „Ulli“ in Marl mit dem Grimme-Preis geehrt. Über ihren immer noch andauernden Bezug zum Vogtland, ihren jetzigen Ruhestand und die jüngst erfolgte Ehrung sprach sie im nachfolgenden Interview.

Weiterlesen »
Musik & Kultur

Eine Rose, Kirchenkonzerte und schwarzes Theater

Karussell-Sänger Joe Raschke über Legendendasein, alte und neue Texte

Die Leipziger Rockgruppe „Karussell“ zählt, auch wenn sie sich selbst nicht dazu zählen will, zu den Ostrocklegenden. Entstanden 1976 aus der Leipziger Gruppe Fusion und ehemaligen Mitgliedern der kurz zuvor verbotenen Klaus-Renft-Combo ist ihr Schaffen bis heute von lied- und balladenhaften wie melodiebetonten Stücken geprägt. Zum bisherigen musikalischen Dasein der Gruppe, das 2024 erschienene Album „Unter den Sternen“ und mehr erzählte Joe Raschke, Sohn des Karussell-Gründungsmitglieds Wolf(i)-Rüdiger Raschke.

Weiterlesen »
error: Content is protected !!