3. Oktober – kein Grund zum Feiern

„Butter bei die Fische!“ – Licht ins Dunkel gebracht!

Das ist kein Ostalgie-Beitrag. Niemand will die DDR wiederhaben. Es ist lediglich ein Blick in die traurige Wahrheit der Vergangenheit. Frei nach der Devise: Wie der westdeutsche Pleitegeier mit dem ostdeutschen Hammer ein ganzes Volk demoliert hat.

Endlich mal „Butter bei die Fische!“, Licht ins Dunkel gebracht, aufgefrischt, was als „festgelegte Geschichtsdaten“ inzwischen eingetrichtert wird. Denn irgendwann sind nämlich die Generationen weggestorben, die von der Wahrheit berichten können, sind wahre Erinnerungen endgültig verdrängt.

In zahllosen Veranstaltungen, Medienbeiträgen und Statements von Politikern unterschiedlicher Colour wird einem Tag gehuldigt, den eigentlich niemand im Lande so richtig als (s)einen Feiertag, der ihn auch mit gewissem Stolz erfüllen sollte, sieht. Auch nicht nach 35 Jahren der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Schon gar nicht im Osten der Republik.

Wenn in jüngster Gegenwart immer noch Unternehmen in den fünf neuen Bundesländern trotz schwarzer Zahlen bei Umsätzen und Gewinnen und vollen Auftragsbüchern „abgewickelt“, in lohnschwächere Länder verlagert oder zum Spielball der in den Altbundesländern beheimateten Konzernen werden… wenn sich in punkto Sozialversicherungen, speziell Kranken-, Renten-, und Pflegeversicherung, oder einer sozial gerechten Vermögens- und Einkommensumverteilung, von einer angeglichenen Lohnpolitik ganz zu schweigen, immer noch eine nicht zu übersehende Kluft auftut – dann kann von vollzogener Einheit und Grund zum Feiern nicht die Rede sein.
Ein nüchterner Blick eines jeden in sein unmittelbares Umfeld wird dies bestätigen.

Die vielschichtigen Ursachen dafür liegen teils im Zeitraum zwischen dem 9. November 1989 und eben jenem 3. Oktober 1990, aber auch weit davor.
Nicht nur diese 328-Tages-Differenz soll darum etwas näher beleuchtet werden.

Der DDRler wollte ´89 endlich auch das zu vernünftigen Preisen in vernünftigem Umfang ohne Wartezeit kaufen können, was er selbst hergestellt hat. Nein, er wollte keinen Hungerlohn für seine Produkte, sondern einen ordentlichen Preis als Gegenwert seiner Arbeit erhalten. Nein, er wollte in kein anderes Land auswandern. Er wollte für sein Geld nur etwas von der Welt sehen. Und nochmals nein. Die westdeutschen Konzerne wollten nicht auf den Bombenprofit verzichten, den sie über Jahrzehnte aus ihren Brüdern und Schwestern gepresst hatten.

Dazu sei in Erinnerung gerufen:

Die Herren im Westen lebten Jahrzehnte über ihre Verhältnisse. Sie hätten schlagartig, von jetzt auf gleich, eigene Produktionen aus dem Boden stampfen müssen, um den Wohlstand aufrecht zu erhalten. Die täglichen Züge und Lkw voll mit geschlachtetem Vieh, Milch, Getreide, Obst und Gemüse zur Versorgung der Bevölkerung. Womöglich wären die kolonial-ähnlichen Handelsmethoden mit der DDR ans Licht gekommen. Also war / ist nicht wahr, was nicht wahr sein durfte / sein darf, nicht bekannt werden durfte / darf. Nämlich die wahre Situation, dass die DDR über Jahrzehnte nicht nur den RGW sondern auch den Westen am Leben erhalten, durchgefüttert hatte.

Bekanntlich arbeiteten weit über die Hälfte der DDR-Betriebe ausschließlich oder zu drei Viertel für Westdeutschland. Und auf der Hand liegt: Westdeutschland hat sicher keinen Schund geordert! Angefangen in der Textil- und Bekleidungsindustrie von Strümpfen über Schuhe hin zu Gardinen und Teppichen, der Seifen- und Waschmittelindustrie, der Elektro- und Haushaltsgeräteindustrie mit Kühlschränken und Waschmaschinen, der Möbelindustrie… bis hin zu landwirtschaftlichen Betrieben, die Schweine und Kühe nur für den Westen züchteten, Wurst, Schokolade, Bier und Schnaps vorzugsweise für Konsumenten von Hamburg bis München herstellten. Hinter grauen verfallenen Mauern standen teils modernste Maschinen, die im Akkord liefen, Qualitätsware herstellten. Die Kataloge von Neckermann, Otto & Co waren damit prall gefüllt. Was für den Westen produziert wurde, kam in Ostdeutschland oft gar nicht in die Regale.

Noch mehr gefällig?!

Fast alles für den Westen wurde im Osten produziert. Nicht zu vergessen, dass der Maschinenbau, die Agrar-Industrie und weitere Wirtschaftszweige dabei am Tropf der D-Mark hingen. Allerdings war es schon damals mit der Zahlungsmoral wie heute. Soll heißen: Zum Teil mit 12monatigem Verzug erhielt ein VEB sein Geld oder das, was nach Ostberliner zentraler Lenkung und Leitung, Bearbeitung und Verteilung übrigblieb. Aber produziert werden musste trotzdem, weil es sonst saftige Vertragsstrafen gab. Bei Lieferverzug drohte z.B. nur die Bezahlung der Hälfte des gelieferten Warenumfanges.

Nicht unerwähnt bleiben soll der 1983 von Franz Josef Strauß eingefädelte Milliardenkredit für die DDR – zur Beschaffung von Rohstoffen zur Aufrechterhaltung vorab genannter Importe aus der DDR. Denn inzwischen musste der kleine Bruder an den großen das gelieferte Erdöl und Erdgas mit Valuta oder Erzeugnissen wie zum Beispiel in der Warnow-Werft gebauten Hochseeschiffen bezahlen.

Als Schabowski am 9. November 1989 live im DDR-Fernsehen gegen 18:54 Uhr den ihm zuvor von Egon Krenz ohne jegliche Erklärung übergebenen und ohne Sperrvermerk versehenen Beschluss der plötzlichen Grenzöffnung verlas, waren die Messen längst gelesen. Denn die eigentlichen Befehlsgeber hatten bereits lange zuvor begonnen, all ihre Schäflein ins Trockene zu bringen. Sie drehten in Berlin (und im Westen) bereits im Verborgenen an den Schrauben, die den Ruin für das eigene Volk bedeuten sollten. Dem Volk, dem sie seit Wochen hilflos ausgeliefert gegenübergestanden hatten. Dem Volk, das sich nach dem Wahlbetrug organisierte, um letztendlich als geballte friedliche Macht auf die Straßen zu gehen.

Noch am Nachmittag des 9. November war der damalige stellvertretenden SPD-Vorsitzende Johannes Rau zu Besuch im ZK. Noch am selben Abend wurde die unbeherrschbare Masse in Leipzig, Berlin und anderswo mit Schabowskis und später folgenden Reden von hochrangigen Politikern aus dem Westen auf den Plätzen im Osten regelrecht dazu getrieben, ihr Vaterland zu verraten, im Stich zu lassen, für Null und Nichtig abzustempeln. Warum hatten BBC, SFB, PA, ZDF, ARD, NBC, ANSA, selbst das japanische Fernsehen, also alle großen West-Medien, bereits Tage zuvor genau für diesen 9. November, genau für die Zeit zwischen 20 und 24 Uhr, genau für die zu erwartenden Momente der Grenzöffnung, beim West-Berliner Senat Dreh- und Aufnahme-Genehmigungen an der Bornholmer Straße oder am Brandenburger Tor beantragt und ohne Nachfrage des genaueren Anliegens prompt erhalten?! Wieso gratulierten Staatsoberhäupter, weil sie nicht die letzten sein wollten, dem deutschen Volk zur Grenzöffnung, obwohl eigentlich noch gar nichts passiert war?!

Und nochmal in Erinnerung gerufen: Die Herren im Westen hatten bis dato Jahrzehnte auf Kosten Ostdeutschlands über ihre Verhältnisse gelebt.
Das sollte, durfte sich nicht ändern.

So konstituierte sich am 16. Juli 1990 die Treuhand. Doch bereits lange vor der ersten freien und letzten Wahl in der DDR, der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990, gab es hinter dem Rücken der seit November 1989 amtierenden Modrow-Regierung Gespräche zwischen von ehemaligen Blockflötenparteien plötzlich zu Macht Gekommenen und westdeutschen Politikern. An denen beteiligt war auch Lothar de Maizière, der einen Tag nach dem Mauerfall am 10. November 1989 den Vorsitz der Ost-CDU übernommen hatte. Genau der Lothar de Maizière, der alias „Czerny“ ein Spitzenspitzel der Stasi war, der von Wolfgang Schäuble wider der Original-Stasi-Akte vom „Stasi-Täter“ zum „Stasi-Opfer“ umbenannt und sogar vorschnell und widerrechtlich „rehabilitiert“ wurde, der Lothar de Maizière, der vom 12. April bis 2. Oktober 1990 als erster demokratisch gewählter und zugleich letzter Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik amtierte. Bei den erwähnten Gesprächen ging es unter anderem darum, wie nach einem (damals bereits ausgeklügeltem) Zustandekommen einer deutschen Einheit mit dem Grund und Boden und den Produktionsmitteln in der DDR umgegangen werden kann / soll. Im Marxschen Sinne war da schon beschlossene Sache: Den Ossis bliebe ihr persönliches Produktionsmittel, ihre Arbeitskraft, die sie ja sowieso (in altgewohnter Manier) schon sklavenhaltermäßig gute drei Jahrzehnte für den Westen eingesetzt hatten.

Denn die Lösung, die eigentlich angestrebte Veränderung hin zu einer grundlegend neuen wirtschaftlichen Struktur, lag parat, quasi auf der Hand – die Modrowschen Pläne. Danach sollten sich die sogenannten DDR-NSW-Betriebe (Betriebe, die für das Nicht Sozialistische Wirtschaftsgebiet gearbeitet hatten) mit frei konvertierbarer Währung auf dem freien Markt ein Jahr bewähren. Dabei war die vorgezogene Währungsunion nur ein Showeffekt im längst feststehenden Drehbuch der Strippenzieher. Laut Modrowschen Plänen sollten die Arbeiter im Osten mit einer Art Volksaktie die Möglichkeit erhalten, ihren Betrieb kaufen zu können. Es sollte weiterhin gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten, der erwirtschaftete Gewinn entsprechend geteilt werden. Wer diese Frist marktwirtschaftlich überlebt, existiert weiter. Die einen nannten es demokratischen Sozialismus. Die anderen nicht machbar. Doch genau dieses Modrowsche Modell funktioniert übrigens noch heute in einigen wenigen Betrieben, die nicht über die Treuhand oder auf anderen Wegen in die Hände westdeutscher, oft zweitklassiger Manager gefallen sind (z.B. Multicar).

Es bleiben also zwei Fragen:

Wer hat hier was zum Feiern?

Warum wird ausgerechnet der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit begangen?


Interessant ist: Die Antwort auf die zweite Frage ist zugleich die auf die erste. Weil, trotz immer zumindest in Worten gewürdigten Lobes der Montags-Demos und der Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR, in keinster Weise darauf verwiesen werden soll, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang andere Tage haben. So der 4. September (erste Montags-Demo in Leipzig mit etwa 1200 Beteiligten), der 7. Oktober 1989 (allererste Großdemonstration der Friedlichen Revolution in der DDR mit über 15.000 Menschen in Plauen), der 9. Oktober (rund 70.000 Demonstranten sehen sich in Leipzig friedlich demonstrierend 8000 bewaffneten Kräften gegenüber) oder der 9. November 1989!

Einer dieser Tage als Feiertag wäre der Ehre der Ostdeutschen dann doch zu viel gewesen! Oder auch, damit ja niemand auf die Idee kommen soll, den geschichtsträchtigen und auch -belasteten 9. November, den „Wendetag der jüngeren deutschen Geschichte“ samt dem West-Ost-Gebaren (wie dem 1960er Adenauer-Chruschtschow-Agreement, im geteilten Deutschland ausgesuchten DDR-Betrieben Wirtschaftsaufträge von der BRD zu geben, die dafür erhältliche „harte D-Mark“ zu großen Teilen aber in den RGW abzuführen) und seine, wie in diesen vorangegangenen Zeilen nur zwei dargelegten Begleitumständen, mal genauer zu recherchieren!

Die „ursprünglichen 89er“ stimmt weder das eine noch das andere irgendwie froh.

Erst recht nicht, zu feiern!

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