Lesen, lesen, lesen und nicht wischen!

Ulla Meinecke weiterhin on Tour auf kleineren Bühnen

Es ist etwa 50 Jahre her, als sie am Hauptbahnhof in Hamburg ankam und Udo Lindenberg sie abholte. Udo L war derjenige, der ihr eine Chance gab, als Pro­du­zen­t 1977 inmitten der aufstrebenden Neuen Deutschen Welle ihr ers­tes Al­bum ver­öf­f­ent­lich­te. Sie war in den 80ern eine der erfolgreichsten Vertreterinnen des damals noch eher seltenen Genres „Deutschsprachige Popmusik“. Seither ist die Wahlberlinerin aus Usingen eine feste Größe in der deutschen Musik- und Kulturlandschaft. Ihre samtige, rauchig-markante Stimme, sichere Intonation und ihre poetische Sprache, nicht zuletzt ihre nachdenklich-ironischen Texte, die sie samt selber verfasst und nicht (wie das bei einem Sound-Check entstandene Foto) aus der Hüfte geschossen sind, begründen ihren Ruf. Sie ar­bei­te­t(e) mit Edo Zan­ki, Rio Rei­ser, Sp­liff und An­nett Loui­san. Zu den vielen bislang gegebenen tausend Konzerten gesellen sich gegenwärtig die „Songs & Geschichten“, die sie zusammen mit dem Multi-Instrumentalisten Reimar Henschke gibt – Ulla Meinecke. Auf eine Zigarettenlänge nahm sie sich Zeit für die Beantwortung einiger Fragen.

Anfang der 80er mit damals eher seltenem Genre „Deutschsprachige Popmusik“ unterwegs gewesen. Sieht sich Ulla Meinecke als eine Art Erfinderin?

Meinecke: Nein, keineswegs. Vor mir hat´s ja schon Rio Reiser und Udo gegeben. Und die Erfolge haben sich ja auch erst etwas später so richtig eingestellt.

Udo Lindenberg war 1976 der Mutmacher, das kreative Hobby zum Beruf zu machen. Es gab sogar Auftritte mit Udo. Wie viel Udo-Einfluss ist bis heute geblieben?

Meinecke: Eigentlich keiner mehr. Seine Handschrift war nach den ersten beiden Platten auch genug.

Es gibt zahlreiche Beinamen: Grand Dame der deutschsprachigen lyrischen Popmusik, Chansonette, Liedermacherin… Welcher kommt der Sache am nächsten?

Meinecke: Keiner, weil wohl am ehesten Singer-Song-Writerin zutreffen würde und vielleicht noch „Fremdtexterin“, weil ich auch so einiges Erfolgreiches für andere geschrieben habe.

„Die Abenteuer des Tom Sawyer“ selber oft genug hoch und runter gelesen, dann allein als Hörbuch mit toller Musik untermalt eingelesen – ein wahres Erlebnis für Jung und Alt. Sind demnächst weitere Hörbücher in ähnlicher Form zu erwarten?

Meinecke: Leider existieren nur 500 statt geplanten 5000. Der Rest ist irgendwie-wo in der Konkursmasse des damaligen Verlages untergegangen. Die Rechte liegen bei mit. Ich suche noch jemanden, der mit mir eine Nachauflage in Angriff nimmt. Aber ein neues Projekt dieser Art wird es wohl eher nicht geben.

Als Berufsbezeichnungen sind Sängerin, Buchautorin und Schauspielerin zu lesen. Was ist mehr ans Herz gewachsen oder gibt´s bald ein Kompaktpaket aller drei Leidenschaften?

Meinecke: Das Schauspielern war und bleibt eine Ausnahme. Dass ich mit dem Stück „Wiederbeschaffungsmaßnahmen“ 460mal auf der Bühne stand, war dem Umstand geschuldet, dass das Stück mit meinem Namen beworben wurde und ich die Kollegen nicht sitzen lassen wollte. Für die anderen beiden Sachen gibt´s gegenwärtig kein voraussehbares Ende.

Einst, wie selbst betitelt, im Rahmen der „Kinderlandverschleppung“ erstmals die Ostsee gesehen und wohl noch bis heute von der Weite begeistert. Warum dann Berlin als Wohnort?

Meinecke: Ich bin schon ein Stadtmensch, ein Großstadtkind. Und Berlin war und ist einfach die Stadt der Kontakte und Projekte. Und damals, Ende 70 und in den 80ern hat dort wahrlich die Luft gebrannt. Bei aller Schönheit der Ostsee, das möchte ich nicht missen.

Das Repertoire an Liedern ist allemal vorhanden, gute Musiker ebenfalls in petto… Warum Konzerte eher auf kleineren Bühnen und nicht in großen Konzertsälen?

Meinecke: Selbst zu meinen Glanzzeiten habe ich lieber fünfmal im Wintergarten vor rund 500 Leuten als einmal in der Deutschlandhalle vor Tausenden gespielt. Nichts geht über Publikumskontakt. Ich möchte selber auch kein Fernglas benötigen, um all meine Gäste zu sehen.

Bei unzählig vielen Titeln – aber es sind heute kaum welche im Radio zu hören. Weil die Texte ein zu intensives Zuhören verlangen?

Meinecke: Eher, weil früher ein Musikredakteur einen Titel gut fand, sich die Scheibe untern Arm geklemmt und im Studio aufgelegt hat. Da mussten die Leute zuhören. Für meine Erfolge damals natürlich optimal. Heute gibt´s eben andere Eckpunkte, was im Radio läuft. Ist halt so.

Auf dem 23er Doppel-Album „Das Beste“ ist ja nur eine Auswahl. Bestimmen diese Titel das derzeitige Programm oder auch bis dato nicht Veröffentlichtes?
Meinecke: Ja, es gibt eins zwei, wie „Wir“ und „Bär“. Aber die Leute, die zu meinen Konzerten kommen, kommen, um zuzuhören und zu verinnerlichen. Dementsprechend erfolgt die Titelauswahl und das kommt ganz gut an.

Die meisten Titel sind, auch wenn sie bereits einige Jahre auf dem Buckel haben, ja wirklich zeitlos und immer noch tiefsinnig ergreifend. Was ist das Rezept für derartige Texte?

Meinecke: Meine Texte entstehen nicht auf die Schnelle, mal so aus der Hüfte geschossen, weil´s gerade in die Zeit passt. Ich überlege und sinniere da ziemlich lange. Vor allem: Ich benutze keine sprachlich zeitlich modernen Ausdrücke.

Die deutsche Sprache ist also sehr wichtig und ebenso der Umgang mit ihr. Gibt´s dazu einen Vorschlag, wie den Kids dieses Gefühl der „Heimat- /Muttersprache“ und seiner Vielfalt besser verinnerlicht werden kann?

Meinecke: Wow, zum Ende noch eine so schwierige Frage. (lacht, überlegt) Ich kann bestimmt besser Englisch, als mancher heutige Musikredakteur. Aber Deutsch ist meine Muttersprache, in der ich auch träume. Kids und Jugendliche müssen angehalten, vielleicht auch gezwungen werden, Literatur zu lesen, zu lesen, zu lesen und nicht zu wischen!

Dann noch viele tolle Texte, die zum Zuhören animieren.

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